Posts Tagged ‘Komplexität’

Komplexe Welten verstehen

5. Januar 2022

Unsere komplexe Welt besser verstehen“ verspricht der Untertitel von Dirk Brockmanns Buch Im Wald vor lauter Bäumen. Brockmann ist theoretischer Physiker, Mathematiker sowie Professor am Biologischen Institut der Berliner Humboldt Universität. Seine Quintessenz aus der Beschäftigung mit komplexen Phänomenen außerhalb der traditionellen Grenzen der Physik: Die systemischen Prinzipien der Natur spiegeln sich, aus der Makroperspektive betrachtet, in der Gesellschaft. Menschliche Netzwerke folgen den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie die komplexe Natur.

Für systemische Coachs sind Brockmanns Betrachtungen zu Systemen sehr anschaulich, wenn auch nicht ganz neu. Er beleuchtet, wie sich komplexe Öko-Systeme durch Rückkoppelungen selbst organisieren. Durch ausbalancierende Feedbacks erhalten Systeme ihre Eigenschaften. Durch verstärkende Feedbacks können sich aber auch so entwickeln, dass sie an einen Kipppunkt kommen und sich dann irreversibel in ihren Qualitäten transformieren. Hochspannend für den Coach wird es allerdings, wenn Brockmann die Verhaltensmuster in Tierpopulationen und Menschengruppen vergleicht.

Unter dem Motto „Was die Loveparade mit Staren, Heringen und Wanderameisen verbindet“, arbeitet er die Ähnlichkeiten dieser unterschiedlichen Systeme im kollektiven Verhalten heraus. Ein zentrales Prinzip ist die Synchronisation. Jedes Chaos tendiert zu Ordnung durch Angleichung der Muster, wie wir es von Vogel- oder auch Fischschwärmen her kennen. Auch Menschengruppen folgen diesem Gesetz, ohne dabei auf Führung angewiesen zu sein. Doch wie lässt sich diese selbstorganisatorische Ordnung erklären?

Komplexität, so scheint es, muss nicht kompliziert sein. Denn das Prinzip ist ganz einfach. Selbstorganisatorische Ordnung beruht auf der Interaktion und Angleichung kleinster Einheiten, die dann wiederum auf ihr Umfeld wirken. NLP-Anwender umschrieben dieses Vorgehen mit den Begriffen Kalibriren, Pacing und Rapport. Schließlich reagiert das Kollektiv als Ganzes, ganz ohne dass ein „Leittier“ die Richtung vorgibt.

Zwar ist das Schwarmverhalten von Vögeln und das Verhalten von Fußgängern in Gruppen nicht ohne weiteres mit komplexen Entscheidungsfindungen in Teams zu vergleichen. Doch es deuten sich auch für diese Settings einige wichtige gemeinsame Tendenzen ab. Gruppen neigen zu Mehrheitsentscheidungen, wobei neutrale Haltungen in der Regel stärkend für die Mehrheitsentscheidung wirken. Der so entstehende Konsens ist dabei nicht auf den direkten Austausch von Informationen angewiesen, sondern entsteht implizit.

Kollektive Entscheidungen bewähren sich im Allgemeinen stärker als die selbst der besten Teammitglieder, wie beispielsweise Forschungen zu medizinischen Diagnosen in kollegialen Teams zeigen. „Leittiere“ können allerdings die Qualität dieser Mehrheitsentscheidungen wieder verzerren. Denn ihr Eingreifen kann zur Verzerrung der Gruppendynamik führen. Die Zeit scheint gekommen, das Konzept Führung neu zu beleuchten.

Der Führungsbegriff wandelt sich

26. Juni 2018

Mann mit Handy

Wer die Diskussion um den Wandel der Arbeitswelt durch die Digitalisierung verfolgt, kennt bereits Schlagworte wie Komplexitätsmanagement und disruptive Innovation sowie Agilität als neue Ansätze zum Umgang mit diesen Phänomenen. Andere Buzzwords rund um den Wandel heißen Selbstorganisation und entwicklungsorientiertes, coachendes Führen. Welche Folgen haben sie für das bisherige Konzept des Führens?

Der klassische Fühungsbegriff ist ganz offensichtlich einer radikalen Neudeutung ausgesetzt. So wandelbar und vielfältig auch die bisherigen Führungsideen: ein wesentliches Merkmal der Führung war immer die klare Unterscheidung zwischen Führung und Geführten. Wer führt, ist diesem Verständnis nach anderen vorgesetzt (wenn er auch selbst Vorgesetzte haben mag). Er verpflichtet zu sich der Aufgabe, mit welchem Stil auch immer, Mitarbeiter zum Erreichen vorgegebener Ziele zu führen.

Diese Dualität löst sich nun schrittweise auf. Die Führungskraftrolle und die Geführtenrolle nähern sich an. Denn Selbstorganisation in Teams bedeutet nicht zuletzt, nicht mehr vorgegebene, sondern selbst definierte Ziele zu erreichen und eigene Zukunftsvisionen zu entwickeln. Führung wird im selbstorganisatorischen Kontext daher zu einer Dienstleistung, die Teams zu besseren Ergebnissen verhelfen soll.

Diese Dienstleistung kann, muss aber nicht an eine Vorgesetzten-Rolle mit hierarchischer Überordnung gebunden sein. Stattdessen kann die Führung in Abhängigkeit zum jeweiligen Kontext und zur Situation vom Team an wechselnden Personen übergeben werden. Einzelne Verantwortlichkeiten wie das Moderieren von Teams oder das Coachen von Einzelnen können darüber hinaus in unterschiedlichen Händen liegen. Ebenso darf Führung rollieren.

Weil in selbstorganisatorischen Kontexten das Treffen von Entscheidungen, das Entwickeln von Zielen sowie Zielkriterien und die Organisation von Umsetzungsschritten in der Hand von Teams liegen können, öffnet sich der Raum für neue Führungsaufgaben. Das bereits erwähnte Führen im moderierenden bzw. coachenden Sinne ist kein inhaltliches Führen mehr, sondern vor allem ein Führen durch Prozesse und ein Bereithalten der dafür passenden Tools.

Im Wortsinne des englischen Begriffs Facilitator sind die neuen Führungskräfte Erleichterer und Ermöglicher. Als Moderatoren und Coachs stellen sie die Menschen in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit und setzen aus der Metaperspektive Akzente zur Verbesserung der Selbstorganisation. 

Doch Selbstführung ist für viele Teams noch ein entferntes Ziel. Die klassische Führungskraft wird uns daher noch eine Weile begleiten, auch wenn sich ihr Rollenbild Stück für Stück aufzuweichen beginnt. Der coachende bzw. entwicklungsorientierte Führungsstil und moderne Formen der Moderation sind allerdings wichtige Brücken auf diesem Weg.

Kommunikation von Bäumen lernen

1. April 2016

bank-im-park

Kommunikation von Bäumen lernen? Eine merkwürdige Idee. Sind doch Bäume sprachlose und zugleich stationäre, zum räumlichen Perspektivwechsel unfähige Wesen. Wie soll unter diesen Voraussetzungen Austausch gelingen? Peter Wohlleben, Förster und Natürschützer, hat genauer hingeschaut. In seinem Buch Das geheime Leben der Bäume beschreibt er, was Bäume fühlen und wie sie kommunizieren.

Mit seiner Sicht auf Bäume verändert Wohlleben nicht nur unsere Vorstellung von Wäldern. Er vertieft auch unser Verständnis für die Interdependenz aller Lebewesen und die Komplexität nichtsprachlicher Kommunikation in der Natur. Bäume kommunizieren geruchlich, optisch, elektrisch auch auch akustisch. Sie sind im gleichen Maße wie wir soziale Lebewesen, unfähig, isoliert zu leben.

So brauchen sich Bäume gegenseitig. Ein Buchenwald beispielsweise ist produktiver, wenn die Bäume dicht stehen. Förster irren daher, wenn sie jedem einzelnen mehr Raum verschaffen. Auch Jungbäume profitieren von großer Nähe und dem Schatten eines Senior- oder Mutterbaums. Erhalten sie in den ersten Lebensjahren zu viel Licht, wachsen sie zwar schnell. Ihnen fehlt jedoch die nötige Reife, um mit den verschiedensten Umweltbedingungen gut umgehen zu können.

Aber auch die gute Baum-Zusammenarbeit reicht nicht aus, um optimale Lebensbedingungen zu schaffen. Genauso wichtig ist das kooperative Miteinander mit anderen Waldbewohnern. Bäume brauchen Freunde, um überlebenswichtige Informationen weiterzutragen und die Baumwelt miteinander zu vernetzten. Diese Funktion übernehmen vor allem Pilze, die in der Lage sind, ganze Wälder zu vernetzen und Nachrichten über Insekten, Dürren und weitere Gefahren zu übermitteln.

Wohlleben liefert überraschende und faszinierende Einblicke in eine Kommunikationswelt, die sich doch eigentlich nicht so sehr von der menschlichen Welt unterscheidet. Im Unterschied zu Bäumen versuchen wir allerdings immer wieder, aus der sozialen Kommunikation auszusteigen und kurzfristig wirksame, aber langfristig ökologisch kontraproduktive Lösungsansätze zu entwerfen.

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