Archive for the 'Vor-Gelesen' Category

Worte, die wirken

14. Mai 2024

Mit Worten Wunder bewirken? Das ist das Programm der vom Psychologen Willem Lammers begründeten Logosynthese. In seinem Buch Selbstcoaching mit Logosynthese führt er anschaulich und praktisch in die Grundlagen der Veränderungsarbeit mit seiner Methode ein. Es gelingt ihm elegant und kompakt, Laien die neurobiologischen Hintergründe beim Verändern mentaler, emotionaler sowie physischer Zustände zu vermitteln und sie mit seinem Handwerkszeug zu kompetenten Selbstentwicklern zu machen.

Die Logosynthese integriert Aspekte aus dem NLP, der Hypnotherapie sowie der Transaktionsanalyse und der Energetischen Psychologie. In den Mittelpunkt stellt sie dabei den griechische Begriff Logos, der sowohl für das Wort als auch den Sinn sowie das geistige Vermögen und die Vernunft steht. Logos wiederum ist eng verwandt mit dem, was Lammers die Essenz nennt, das wahre Wesen des Menschen, das seiner Auffassung nach nicht verloren gehen, sondern nur vergessen werden kann.

Die Essenz ist das, was den Menschen über seinen Körper, seinen Geist und seine Erfahrungen und Erlebnisse hinaus zu einem einzigartigen Individuum macht. Logosynthese zielt darauf, das Bewusstsein des Menschen über seine Essenz wiedererlangen zu lassen. Denn diese ist den meisten von uns im Verlaufe unserer Sozialsierung durch Verinnerlichung fremder Konzepte und Abspaltung eigener Energien verloren gegangen.

Durch Logosynthese kann sich der Menschen wieder mit seiner Essenz verbinden. Und drei einfache Sätze helfen ihm dabei, sich von dem zu lösen, was nicht zu einem selbst gehört:

  • Ich nehme all meine Energie, die gebunden ist an mein Thema, an den richtigen Ort in mir selbst zurück.
  • Ich entferne alle Fremdenergie im Zusammenhang mit diesem Thema aus allen meinen Zellen, aus meinem Körper und aus meinem persönlichen Raum und schicke sie dorthin zurück, wo sie wirklich hingehört.
  • Ich nehme alle meine Energie, die gebunden ist in allen meinen Reaktionen auf dieses Thema an den richtigen Ort in mir selbst zurück.

Die Essenz ist selbstverständlich nur eine Idee, kein beweisbares Konzept. Doch bei der mental-emotionalen Selbstorganisation und Herausbildung sowie Stärkung der eigenen Identität erweist sie sich von großem Nutzen. Denn die Überzeugung von der Existenz einer eigenen Essenz erleichtert es, sich von Gedanken und Emotionen zu lösen, die behindernd und einschränkend sind.

Ego-States im NLP

4. April 2024

In seinem Buch Integratives Ego-State-Coaching mit emTrace stellt der Trainer und Coach Dirk Eilert seinen Ansatz zur Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen vor. Auch wenn die verwendete Begriffswelt eine neue Methodik suggeriert, handelt es sich bei den von ihm beschriebenen Konzepten im Kern um die klassischen NLP-Ideen zur Teilearbeit. Der systematische Aufbau und die Verweise auf relevante aktuelle Erkenntnisse der Neurobiologie machen das Buch aber lesenswert.

Das NLP-Teilemodell geht davon aus, dass der Mensch aus unendlich vielen Teilen besteht, zum Beispiel aus Körper, Seele und Geist. Bei der Teilearbeit geht es darum, eine Kommunikation zwischen den unbewussten Teilen herzustellen, die in Spannung zu bewussten Teilen stehen. Eilert differenziert dieses Konzept durch die Aufteilung in ressourcereiche, verletzte und destruktiv-verletzende Persönlichkeitsanteile, die Ego-States genannt werden. Da diese, wie man heute weiß, in jeweils unterschiedlichen neuronalen Netzwerken gespeichert sind, wissen die Teile oft nur wenig oder nichts voneinander.

Der Wechsel eines Mensch von einem Teile-Zustand oder Ego-State in einen anderen geht daher – von außen sichtbar – oft mit einem kompletten Physiologiewechsel einher. So gibt es jüngere verletzte Persönlichkeitsanteile oder Ego-States, die nicht von den Lernerfahrungen anderer Ego-States ein und derselben Person profitieren können. Der eigene Selbstwert beispielsweise kann je nach aktiviertem Ego-State anders wahrgenommen werden.

Für den Coaching-Erfolg spielt der Appell an die ressourcereichen Persönlichkeitsanteile des Klienten eine bedeutsame Rolle. Sie stabilisieren den Gesamtzustand und ermöglichen, mutige Schritte in eine neue Richtung zu gehen. Hier erweist sich auch die Wirksamkeit des NLP-Modelings. Denn im Außen wahrgenommene Positivmodelle können zu ressourcestarken inneren Mentoren werden. Eilert nennt das den „Batman-Effekt“. Er empfiehlt – klassisch NLP-isch – ressourcereiche Ansteile stark assoziiert zu erleben, während bei ressourcearmen eine dissoziierte innere Haltung hilfreich ist.

NLP-Methoden wie die Change-History-Timeline, der Re-Imprint, das Six-Step-Reframing und die Core Transformation erweisen sich als besonders hilfreich, um die jüngeren verletzten Persönlichkeitsanteile mit erwachsenen Ego-States neuronal zusammenzuschalten und in die Gesamtpersönlichkeit zu integrieren. Eilert arbeitet außerdem mit Brain-Spotting und mentalen Aufstellungen. Begleitend setzt er Emotionsregulations-Techniken wie Klopfinterventionen, Schultertapping (wie aus wingwave bekannt) und mentale Aktivierungen, zum Beispiel durch Rückwärtszählen, ein.

Wer als Anwender wissen will, warum die klassischen NLP-Methoden so erfolgreich sind, findet in diesem Buch eine Fülle an nützlichen Hinweisen. Wer sich dagegen das integrative Ego-State-Coaching mit emTrace per Buch erschließen will, wird einige Mühe damit haben. Die Arbeit mit den von Eilert aufgeführten destruktiv-verletzenden Persönlichkeitsanteilen, dies sei zum Schluss noch erwähnt, gehört selbstverständlich nicht in die Hände von Coachs.

Kein lebendes System ohne Konflikt

12. Februar 2024

Konflikte kosten Kraft. Sie wühlen auf und stören die Ruhe, die wir uns im Alltäglichen wünschen. Doch geht es auch ohne Konflikte? Oder führt die Kunst des Konflikt zumindest zu einem schnellen Ende von Auseinanderstetzungen und Streit? Wohl eher nicht. Denn nach Auffassung des Trainers und Coachs Klaus Eidenschink braucht „die soziale Ordnung in Gruppen und Organisationen […] Konflikte, um sich ständig zu erneuern und damit zu reorganisieren.“

Eidenschink beschreibt den Konflikt als das, was passiert, wenn soziale Systeme in Bewegung kommen und stabile Strukturen hinterfragt werden. Aus systemischen Sicht sind Konflikte eigentlich der Normalfall, während „Konsens, Frieden und Verständigung Zustände sind, die wir Menschen für eine gewisse Zeit, für bestimmte Themen und in einem konkreten sozialen Feld mit viel Achtsamkeit und sozialen Rahmenbedingungen erzeugen können“. Sein Buch zielt darauf, Konflikte in ihrer Funktion zu würdigen und die Spielräume der Beteiligten in der Modulation von Konflikten zu skizzieren.

In einer Art Grammatik des Konflikts legt er zunächst die Dynamiken dar, die Konflikten innewohnen können. Er unterscheidet dabei zwischen einer sozialen, einer zeitlichen und einer sachlichen Konflikt-Dimension. Auf diese drei Dimensionen hebt auch seine Methode zum Regulieren von Konflikten ab. Regulationskompetenz heißt allerdings für ihn nicht die Fähigkeit, Konflikte im Konsens oder Kompromiss zu lösen. Denn aus systemischer Warte brauchen Konflikte als Antwort keine Lösung, sondern Entscheidungen über ihren jeweiligen Sinn. Solche Entscheidungen sind nicht allein eine Frage des Verstandes, sondern beziehen die gesamt Bewusstheit des Menschens einschließlich seiner Gefühle ein.

Zur guten Konfliktregulation gehört aus dieser Sicht auch „die Wertschätzung für den Widerspruch“. Denn Widerspruch informiert immer über neue Möglichkeiten, die vom System zur Kenntnis genommen werden sollten. Nicht zum empfehlen ist allerdings ein Verzicht auf Konfliktregulation. Ein nicht regulierter Konflikt hat die Tendenz zu wachsen und am Ende sogar zu zerstören. Die neun Stufen der Konflikteskalation nach Friedrich Glasl verweisen darauf.

Und worin genau besteht nun die Kunst des Konflikts aus der Sicht von Eidenschink? Für ihn geht es darum, situativ und sensibel zu entscheiden, wann ein Konflikt geschürt und wann er wie beruhigt werden soll. „In dieser wahrnehmungsbasierten, resonanzgetränkten Entscheidungskompetenz liegt für uns Menschen die Kunst des Konflikts“. Nicht ganz einfach, wie die Kommunikation überhaupt.

Lernen wie ein Künstler

12. Januar 2024

Der Weg des Künstlers von Julia Cameron, erschienen im Jahr 1992, gilt als Klassiker für alle Künstler, die ihre kreativen Barrieren überwinden wollen. Auch nach über vierzig Jahren lohnt sich die Lektüre, und zwar nicht nur für künstlerisch ambitionierte Menschen.Für alle, die inspiriert durch ihr Leben gehen wollen, bietet das Buch ein dreimonatiges Selbstcoaching-Programm an, das nicht an Aktualität eingebüsst hat. Im Gegenteil. Denn nicht Selbstoptimierung, sondern Selbstentwicklung ist das Ziel.

Konnten Leser sich im Jahr 1992 noch am Untertitel „Ein spiritueller Pfad zur Aktivierung unserer Kreativität“ reiben, erscheinen aus der Warte der modernen neurobiologischen und systemischen Forschung viele Ideen und Denkrahmen der Autorin heute jenseits der Spiritualität als taugliche Metaphern, um Lesern die passende Haltung für einen kreativen Umgang mit dem eigenen Unbewussten nahezulegen. Denn der freie Fluss der Ideen setzt Vertrauen in das Leben und in die eigenen kreativen Quellen voraus.

Das Hauptwerkzeug der Autorin, das morgentliche Journaling, hat sich nicht nur bewährt, sondern ist inzwischen zur Grundtechnik vieler anderer Programme geworden. Zum Beispiel empfiehlt auch Otto Scharmer, der Entwickler der integrativen Moderationsmethode Theory U, die Methode. Viele weitere Techniken und Geisteshaltungen hat Cameron zwar nicht erfunden, doch sinnvoll in ihrem Leitfaden zusammengetragen. Dazu gehören die Arbeit mit dem „inneren Künstlerkind“, die Arbeit mit Träumen, die Lösungsorientierung inklusive Wunderfrage, das Erkunden von Glaubenssätzen und die Ausrichtung an Bildern als Schlüssel zur Kreativität.

„Wenn Du an Deiner Kunst arbeiten möchtest, dann arbeite mit Dir selbst.“ Mit diesem Tschechow-Zitat bringt Cameron auf den Punkt, weshalb es sich für jeden lohnt, in die Selbstentwicklung zu gehen. Allein das Selbst liefert die sinnlichen Informationen, die nötig sind, um sich im Leben zu orientieren. Als (Lebens-)Künstler, so Cameron, sollten Menschen daher lernen, „für sich selbst gut zu sorgen“. Sonst trocknet ihr kreativer Energiepool aus. Ihre Empfehlung: Ein wöchentlicher „Künstler-Treff “ mit sich selbst.

Wofür ein „Künstler-Treff“, wird sich der künstlerisch weniger ambitionierte Leser zunächst fragen. Doch schnell wird deutlich, wie wirkungsvoll und befreiend es wirken kann, wenn wir uns regelmäßig Zeit für Inspiration lassen. Denn Selbstverwirklichung, ob als Künstler oder Alltagsmensch, besteht nicht im Abarbeiten eines an Pflichten orientierten und auf Perfektion ausgerichteten Programms. Der „innere Künstler“ will spielen wie ein Kind und sich von Ideen finden lassen.

Eine wichtige Mahnung an alle, die sich auf das Programm einlassen wollen: Der Weg des (Lebens-)Künstlers ist nicht eben, sondern wirft innere Blockaden, mitunter starke Emotionen und viele Veränderungen auf. Nur das Dranbleiben stellt sicher, dass der Weg erfolgreich sein wird. Erfolg besteht jedoch, das macht Cameron mit einem Zitat deutlich, nicht in einem messbaren Ergebnis. „Ein Gemälde ist nie fertig. Es endet einfach an einem interessanten Punkt.“

Raus aus dem Führungs-Kampf

22. November 2023

Mehr Leichtigkeit im Führungsalltag verspricht der Trainer und Coach Michael Jahn mit seinem Buch Wahre Führungskraft. Zu diesem Zweck identiziert er zehn typische Kämpfe, in die sich Führungskräften in ihrem Alltag involvieren, vom Kampf mit der eigenen Organisation über den Kampf mit der Zeit bis zum Kampf mit dem Privatleben sowie mit dem Feind im eigenen Kopf. Die Überschrift seines Vorworts fasst den wichtigsten Schritt zur wahren Führungskraft zusammen: Raus aus diesem Kampf! Doch wie soll das gehen?

Für Jahn ist es die eigene Einstellung, die den Unterschied macht. Wer sich für das Führen entscheidet, weil er Menschen und Kommunikation liebt, ist bestens aufgestellt. Wer jedoch eigentlich als Experte agieren will, empfindet Führen womöglich als immerwährende Auseinandersetzung. Wer akzepiert, dass Führen grundsätzlich vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen stattfindet, kann mit den Engpässen des Alltags kreativ umgehen. Wer jedoch auf eine Organisation ohne begrenzende Faktoren hofft, der hat schon verloren.

Und so geht es weiter durch die verschiedenen Kampfgebiete, zu denen zum Beispiel auch der Umgang mit unkooperativen Chefs und Mitarbeitenden sowie der eigene Anspruch an Souveränität und Perfektion gehören. Michael Jahns zentrales Rezept: Klarheit, Gelassenheit und Offenheit. Mit einer entspannten Haltung, einer guten Portion Vertrauen in das Leben und einem Gespür für gute Kommunikation wird Führung vom Kampf zu einem herausfordernden Spiel. Und ein Spiel soll sie am Ende auch bleiben. Denn der Job als Führungskraft ist nur ein Teil des Lebens, nicht das Leben schlechthin.

Jahns Leistung: Ein ausgesprochen realistisches Buch, das keine Wunder verspricht, sondern vielmehr uneinlösbare Ansprüche jedes Einzelnen an die Führungstätigkeit enttarnt. Ausdruck guter Führung ist eben die Fähigkeit, sich selbst zu führen.

Vom Leader zum Heiler?

5. Oktober 2023

Ist der „Leader As Healer“ das neue Paradigma der Führung im einundzwanzigsten Jahrhundert? Der Business Trainer und Coach sowie ehemalige Theaterdirektor Nicholas Janni fordert von Führungskräften, die verloren gegangene Einheit zwischen zwischen Mensch und Natur, zwischen Denken und Fühlen sowie rationalen und empathischen Sichtweisen durch gezielte Führung wiederherzustellen: „The times call us urgently to correct the normalization of chronically imbalanced ways of thinking and functioning.“

Sein Ziel: Eine Wiederankoppelung des rationalen Menschen an seine körperlichen, emotionalen und transpersonalen Aspekte: „We relocate from the identiy of ´I as a thinker´ to ´I as Presence who thinks, feels and senses.´“ Wichtigestes Werkzeug in diesem Prozess ist für Janni die Wahrnehmung, sodass Meditation und Achtsamkeits- sowie Embodiment-Übungen im Mittelpunkt seiner Praxisempfehlungen stehen.

Aber auch die Werteorientierung der Führung, der angestrebte Purpose, sind für ihn von entscheidender Bedeutung. Welchem Zweck dient das eigene Führungshandeln und inwiefern zahlt dieses Handeln auf das Wohl der Gemeinschaft ein? Janni plädiert für eine holistische Sicht auf Wirtschaftsprozesse und reiht sich damit in die Riege der integralen Wirtschaftsdenker nach Laloux ein.

Sicherlich ist es an der Zeit, den von Janni geforderten mentalen Wandel in der Welt einzuläuten und als Führungskraft die nötige Transformation durch die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit zu stützen. Doch die Heilung eines Paradigmas, das seit über fünfhundert Jahren prägend für unser Denken ist, kann nur gesamtgesellschaftlich gelingen. Führung braucht überdies mehr als nur Führungspersönlichkeit. Erfolgreich können neue Führungskräfte nur sein, wenn es ein systemisches Wechselspiel zwischen Führungsstil sowie Strukturen und Prozessen in einer Organisation gibt.

Alles in allem spricht das Buch wichtige Themen an und kann Führungskräften als wertvolle Inspiration und praktische Anregung im Führungsalltag dienen. Doch Jannis Idee von der Führungskraft als Heiler überhöht die Rolle des meditierenden Leaders und verstellt den Blick auf die Komplexität des notwendigen Wandels.

Entscheidungsfindungen revolutionieren?

10. Juli 2023

Eine Revolution der Entscheidungsfindung durch Liberating Structures? Nicht mehr und nicht weniger verspricht Daniel Steinhöfer im Untertitel zu seinem Liberating Structures-Buch. Das Handbuch stellt in der Tat eine sehr nützliche Anleitung für die Anwendung dieser Moderationsmethoden zur Verfügung. Doch die „Liberating Structures“ genannte Sammlung von Klassikern sowie einigen neuen Moderations-Techniken eignen sich wohl nicht dazu, Entscheidungen in Unternehmen auf eine gänzlich neue Basis zu stellen.

Denn das flexible Baukastensystem der Liberating Structures suggeriert, dass Strukturen allein reichen, um Menschen zur Selbstorganisation in Teams zu führen. In der Tat unterstützen die Liberating Structure auf produktive Weise bottom-up organisierte Willensbildungsprozesse in Teams. Doch Strukturen sind immer nur so nützlich und zielführend wie die Philosophie und Wertehaltung derjenigen, die sie zum Einsatz bringen. Nicht zuletzt aus diesem Grund stellen systemische Moderatoren und Facilitators das Thema Haltung in den Mittelpunkt.

Stimmt der Geist bei einer Methodenanwendung, wirkt sich auch die Methode befreiend aus. Form bzw. Struktur ohne entsprechende Haltung dagegen löst das Versprechen nicht ein. Wie bereits von der Themenzentrierten Interaktion auf den Punkt gebraucht, braucht es wertebewusste Moderatoren, die Vertrauen zu und zwischen den Menschen aufbauen und sie durch sensible Prozessimpulse aktivieren. Dann können Strukturen tragen und echte Selbstorganisation fördern.

Der Gedanke, dass eine soziale Technik zu einer revolutionären Umwälzung führen kann, ist mechanistisch und eben nicht wirklich systemisch gedacht. Selbstorganisation in Gruppen und Teams, wie Daniel Steinhöfer sie einfordert, fußt aber auf systemischen Regulationsprozessen, die sich auch guten Strukturen entziehen können. Liberating Structures erweisen sich im Alltag als ausgesprochen nützlich, doch ohne Haltung, menschlichem Einfühlungsvermögen und umfassende Kommunikatikonssskills führen sie nicht zum gewünschten Ziel.

Gehirngerechter führen?

2. Juni 2023

Mit Flow @ Work, möchte die Neuro-Bestseller-Autorin Friederike Fabritius zeigen, wie Gehirn-Know-how auch für die Führung fruchtbar gemacht werden kann: „Wer versteht, wie unterschiedliche Gehirne ticken, ist auf dem besten Weg, eine lebendige und vor allem erfolgreiche Arbeitskultur zu gestalten.“ Das vielleicht ja gar nicht so überraschende Ergebnis: Bekannte Modelle bewähren sich auch unter Neuro-Vorzeichen. Denn die von Fabritius vorgestellte Neuro-Signatur erweist sich als Anreicherung klassischer Typologien mit Neurotransmitter- und Hormon-Know-how.

Sie unterscheidet vier verschiedene Motivations-Typen auf der Basis ihrer neurologischen Anlage: Menschen mit einer dopaminlastigen Neuro-Signatur sind kreativ und lieben den Nervenkitzel. Serotonin-gesteuerte Menschen dagegen bevorzugen Stabilität und Struktur. Testosteron-Gesteuerte sind mutig und entscheidungsfreudig, während die Neuro-Signatur Östrogen vor allem auf Kooperation und Kommunikation setzt. Diese Beschreibungen sind für jede Typologie-Kundigen natürlich nicht neu, genausowenig wir ihr Plädoyer für die Führung: Respekt vor den unterschiedlichen Qualitäten jeder Neuro-Signatur und eine Führungskultur der neuronalen Diversität.

Doch mit einem Argument setzt sie einen neuen Fokus in der Diversitäts-Diskussion: Baut man auf äußere Diversitätsmerkmale wie Geschlecht oder Hautfarbe, sorgt das nicht automatisch für die Diversität der Denkstile. Denn meist unbewusste klassische Selektionskriterien sorgen trotz formaler Diversität für einseitige mentale Präferenzen in Teams. Phänomene wie das Gruppendenken tragen außerdem dazu bei, in Austauschprozessen die Vielfalt der Argumente einzuschränken. Aber braucht es zur Lösung vor allem Neuro-Know-how?

Mit ihren Argumenten reduziert Fabritius Führung auf eine Frage der biologischen Ausgewogenheit. Dabei lautet die eigentliche Frage doch, welcher Sinn und welche Werte in Organisationen und Gesellschaften gelebt werden wollen und welche Strukturen und Arbeitskulturen diesen Zwecken dienen. Neurobiologisch ausgewogen zusammengestellte Teams kommen vielleicht leichter zu reflektierten und erfolgreichen Lösungen. Doch die eigentliche Aufgabe von Führung wird damit nicht gelöst. Fabritius füllt diese Lücken mit Tipps zur Lebensführung und Ernährung, die wir bereits aus anderen Kontexten kennen. Was bleibt ist der Appell, Führung menschengerecht und individuell zu gestalten.

Geschichten als Vehikel für mobiles Bewusstsein

24. April 2023

„Menschen zeichnen sich durch ein mobiles Bewusstsein aus, mit dem sie sich an alle möglichen Orte und in alle möglichen Situationen versetzen können.“ Genau diese Fähigkeit, sich mental nicht nur in der Gegenwart, sondern in verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten aufzuhalten, und sich in andere hineinzuversetzen, macht den Menschen einzigartig. Anlass für Fritz Breithaupt, Professor für Kognitionswissenschaften und Germanistik, sich intensiver mit dem Narrativen Gehirn zu befassen:

Das Geschichtenerzählen, so seine Argumentation, ist nicht nur unterhaltsames Beiwerk unseres Lebens, sondern eine integrale Qualität des Verstandes. Weil wir uns mit Geschichten befassen, müssen wir nicht alle Erfahrungen selber machen, sondern können in einem empathischen Akt der Co-Erfahrung mit den Protagonisten der Geschichten lernen. Durch das Weitererzählen und Tradieren von Geschichten entwickeln wir zudem eine stabile mentale Umwelt, in der wir uns sicher bewegen können. Geschichten begründen Gruppen-Idenitäten und stiften Kultur.

Geschichten erlauben außerdem, probezuhandeln, vielseitige Perspektiven einzunehmen und multiversional zu denken. Denn die Spannung in Geschichten lebt von verschiedenesten Blickwinkeln und Sichtweisen, die erst am Ende „ausverhandelt“ sind. Demzufolge enden gute Geschichte immer mit einer emotionalen Quintessenz. Dieses Gefühl erlebt das Gehirn gewissermaßen als Belohnung und ankert den damit verbundenen Lerneffekt. Geschichten finden daher immer wieder Einsatz nicht nur in therapeutischen oder pädagogischen Kontexten, sondern auch im Marketing.

Nicht nur der Emotionsanker zum Abschluss macht Geschichten besonders merkfähig. Weil Geschichten eine Ordnung in den unendlichen Zeitfluss bringen und Ereignisse in einen kohärenten, kausal nachvollziehbaren Zusammenhang stellen, lassen sie sich leicht erinnern und dann auch weitererzählen. Darin unterscheidet sich narratives Denken vom kausal-analytischen Denken oder anderen Denkformen wie dem Denken in Tagträumen und Bildern, die diese Vorzug nicht in der gleichen Art und Weise bieten.

Geschichten thematisieren darüber hinaus manchmal menschliche oder gesellschaftliche Phänomene, bevor diese wissenschaftlich auf die Agenda kommen. So wurde die Theorie des psychologischen Traumas inklusive des Krankheitsbildes der Posttraumatischen Belastungsstörung nicht zuerst in der Medizin, sondern in der Literatur entwickelt. Denn Geschichten erlauben es durch ihren narrativen Spannungsbogen, besser mit Traumata umzugehen. Die erlösenden Emotionen am Ende einer Narration sind, so Fritz Breithaupt, wie eine „… Karotte, der wir nachjagen, wenn wir uns in einen narrativen Strang begeben“.

Rollenwechsel in der Führung

13. März 2023

„Situativ und verantwortungsvoll führen“ lautet der Untertitel zu Regina Mahlmanns Buch zum gezielten Einsatz von Führungsstilen und -Methoden. Und damit markiert die Trainerin und Beraterin von Führungskräften bereits, welche Führungsqualitäten für sie im Vordergrund stehen. Gute Führung sollte sich immer flexibel an den individuellen Umständen, vor allem an den persönlichen Möglichkeiten der Mitarbeitenden orientieren. Nicht der optimale Führungsstil, sondern der bewusste Umgang mit der Verantwortung für die Geführten steht für sie im Mittelpunkt.

Regina Mahlmann bietet einen guten Überblick für alle, die sich in der Welt der Führung jenseits von Moden und Trends zurechtfinden wollen. Sie kreist sechs verschiedene Führungsstile ein, von denen sie die ersten vier, das Autoritäre Führen, das Kooperative Führen, das Situative Führen und das Laisser-faire-Führen, als Klassiker markiert. Denn alle vier klassischen Führungsstile sind nach wie vor im Gebrauch.

Im Verlaufe der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts wurde der klassische Kanon dann durch das Systemische und das Symbolische Führen ergänzt. Mit diesen Schritten traten aber nicht nur weitere gleichberechigte Stile des Führens in die Welt. Insbesondere das Systemische Führen hat bewirkt, dass wir die Rolle der Führungskraft heute in einem radikal neuen Licht interpretieren können.

Während bei den klassischen Stilen Führen bedeutet, von außen Einfluss auf die Mitarbeitenden zu nehmen, ist im systemischen Denken die Führungskraft zugleich Mitglied des von ihr zu führenden Systems. Regina Mahlmann: „Im systemischen Szenarium ist die Führungskraft drinnen, ein Teil des systemischen Zusammenhangs und des Zusammenspiels seiner Komponenten. Sie wirkt und bewirkt. Sie beeinflusst und wird beeinflusst.“

Zwar löst das Systemische Führen nicht automatisch die Über- und Unterordnung von Führungkraft und Mitarbeitenden auf, relativiert sie jedoch in der Absolutheit, wie wir sie aus den klassischen Führungsstilen kennen. Die Führungskraft wird für Mitarbeitende mehr und mehr zum Modell, das nicht zuletzt durch vorbildliches Handeln führt. Mit diesem Schritt setzt die Entwicklung einer vollständig neuen Führungsidee ein. Denn wenn Führende als Teile des Systems modellhaft wirken, dann erweitert sich der Raum für die (Selbst-)Führung der Mitarbeitenden.

Führung wird relativ. Sie löst sich von der Position des Führenden hin zu seiner Person. Parallel dazu treten auch die Mitarbeitenden als Menschen in den Vordergrund, die es durch sensible Führung zu entwickeln gilt. Systemisch führenden Führungskräften kommt so mehr und mehr die Aufgabe zu, die Mitarbeitenden zur (Selbst-)Führung zu befähigen. Das entwicklungsorientierte, coachende Führen löst diesen Anspruch am besten ein.

Konsequent zu Ende gedacht, kann sich Führung schließlich auch von der Idee der hierarischen Über- und Unterordnung lösen. So hat sich inzwischen aus dem systemischen Gedanken das noch radikalere Konzept der Selbstführung bzw. Selbstorganisation ganzer Unternehmen entwickelt. Führung wird im komplett selbstorganisatorischen Rahmen zu einer Dienstleistung, die fallbezogen zwischen Personen wechseln kann.

Vielleicht wider Erwarten erledigt sie sich dadurch nicht selbst, sondern wechselt nur den Fokus. Denn eine systemische Führungskraft ist nicht mehr, wie in den klassischen Stilen, übergeordneter Prozesssteuerer und inhaltlicher Experte, sondern vielmehr Menschenentwicklerin und entwicklungsorientierte Kommunikatorin.